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Bundesgerichtliche Abkehr von der "Microsoft-Rechtsprechung"

Folgender Sachverhalt gab dem Bundesgericht jüngst die Gelegenheit, von seiner umstrittenen Rechtsprechung zur Anfechtung von freihändigen Vergaben nach Art. 21 Abs. 2 lit. c BöB / IVöB abzukehren:

Der Kanton Waadt hatte einen Auftrag für die Totalerneuerung einer Software für das Strassenverkehrsamt und die weitere Zusammenarbeit zwischen 2022 und 2034 mit einem Volumen von über 45. Mio. Franken – zunächst ohne Begründung – freihändig an die bisherige Anbieterin vergeben. Erst auf Anfrage einer Konkurrentin wurde der Zuschlag damit begründet, dass ein Wechsel aus technischen und wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen sei.

Nach Beschwerde gegen den publizierten Zuschlag hob das Kantonsgericht diesen auf und wies die Vergabestelle an, ein ordentliches Vergabeverfahren durchzuführen. Die Zuschlagsempfängerin erhob gegen diesen Entscheid Beschwerde ans Bundesgericht, das die Beschwerde abwies.

In seinen Erwägungen setzte sich das Bundesgericht zunächst intensiv mit der Kritik an seiner bisherigen "Microsoft-Rechtsprechung" auseinander (Urteil vom 11. März 2011, BGE 137 II 313) und evaluierte unter verschiedenen Gesichtspunkten, ob die Voraussetzungen für eine Änderung der Rechtsprechung gegeben seien.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2009 vergab das Bundesamt für Bauten und Logistik einen Lieferauftrag zur Verlängerung der Lizenzen, Wartung und Support für den standardisierten Arbeitsplatz Bund und darauf aufbauenden Anwendungen freihändig an Microsoft. Begründet wurde dieser Zuschlag damit, dass aus technischen Gründen nur Microsoft in Betracht komme. Auf eine Beschwerde von mehreren Open-Source-Software Anbietern trat das Bundesverwaltungsgericht mangels Beschwerdelegitimation nicht ein. Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde ab und entschied, dass das Bundesverwaltungsgericht die Legitimation der Beschwerdeführer zu Recht verneint habe mit folgender Begründung: Wenn geltend gemacht werde, das Freihandverfahren sei unzulässigerweise durchgeführt worden, stehe die Beschwerdelegitimation nur den potenziellen Anbietern des von der Vergabestelle definierten Beschaffungsgegenstandes zu. Die Beschwerdeführer hätten konkret ein alternatives Produkt anbieten und dessen funktionale und wirtschaftliche Gleichwertigkeit darlegen müssen, sofern sie die Einschränkung des Beschaffungsgegenstands auf Microsoft-Produkte gerichtlich beanstanden wollten.

In der Lehre wurde dieses Urteil vielfach kritisiert und mehrere kantonale Gerichte wichen von dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung ab, zumal damit die Beweislast für eine freihändige Vergabe aus immaterialgüterrechtlichen oder technischen Gründen nach Art. 21 Abs. 2 lit. c BöB / IVöB zu Gunsten der Vergabestelle umgekehrt wurde. Zudem widersprach diese Rechtsprechung dem Grundsatz, wonach derjenige, der sich zwecks freihändiger Vergabe auf einen Ausnahmetatbestand berufe, nachweisen muss, dass die Voraussetzungen hierfür auch erfüllt sind.

Das Bundesgericht hat nun in seinem Urteil vom 6. November 2023 seine Rechtsprechung revidiert: Eine Beschwerdeführerin, die eine freihändige Vergabe nach Art. 21 Abs. 2 lit. c BöB / IVöB anficht, hat nach wie vor glaubhaft und plausibel nachzuweisen, dass sie eine potenzielle Anbieterin für den Beschaffungsgegenstand ist. Neu und in Abkehr zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung obliegt aber der Vergabestelle der Beweis, dass es an einer angemessenen Alternative zum freihändigen Zuschlag fehlt. Sie muss sich deshalb bereits im Vorfeld zu einem freihändigen Zuschlag nach Art. 21 Abs. 2 lit. c BöB / IVöB konkret und detailliert mit vernünftigen Alternativen auseinandersetzen und trägt auch in einem potentiellen Beschwerdeverfahren die Beweislast für diese Tatsache. Dabei begründet der Umstand, dass bei einem Produktewechsel möglicherweise erhebliche Mehrkosten entstehen, gemäss Bundesgericht für sich allein noch keine Unangemessenheit der Alternative. Diese neue Beweislastverteilung dürfte künftig insbesondere Nutzungen und Erweiterungen langjähriger IT-Lösungen empfindlich erschweren.

Das französischsprachige Urteil vom 6. November 2023 (BGer 2C_50/2022) ist zur Publikation vorgesehen.

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